Eine erste Bilanz...

 

Das erste Semester oder anders gesagt 122 Tage meiner UWC Erfahrung am United World College in Costa Rica sind bereits vorüber. Mit geringen Ansprüchen und einer gehörigen Portion Offenheit habe ich mich am 12. August 2019 das erste Mal  in diese besondere Erfahrung, knapp 9.500 Kilometer von Deutschland und Zuhause entfernt, geworfen und es kein einziges Mal bereut. Mit diesen niedrigen Erwartungen und Ansprüchen an das College, meine Freunde Zuhause, die Leute auf dem Campus aber auch und vor allem an mich selbst hat UWC dazu beigetragen, dass ich noch ein viel detaillierteres Weltbild erlangen und feineres Gespür für die Ungerechtigkeiten dieser Welt entwickeln konnte. Werfe ich einen Blick zurück auf diese vier Monate, kann sich feststellen lassen, dass in dieser relativ kurzen Zeit mehr passiert ist, als man sich hätte vorstellen können – und dies betrifft sowohl den akademischen Bereich im Vergleich zum deutschen Abitur- und Schulsystem als auch und vor allem das soziale Miteinander in einer Gemeinschaft aus knapp 200 Schülern aus über 70 Nationen dieser Welt.  UWC, Costa Rica und Menschen, die vor einem halben Jahr noch Fremde für mich waren, sind für mich zu einer Familie geworden, die auf der ganzen Welt immer für einen da ist. 

Trotz zahlreicher Überlegungen über diese einschneidende Entscheidung, nach Costa Rica zu gehen und damit Familie und Freunde zunächst einmal zurückzulassen, kann ich für mich heute festhalten, dass es die absolut richtige Entscheidung gewesen ist, diesen Schritt zu wagen. Die Offenheit der Menschen, der unermüdliche Einsatz der Mitarbeiter auf dem Campus und das hohe akademische Niveau sind Dinge, die mich beeindrucken und mich diese Erfahrung – gerade im Vergleich zum deutschen Schulsystem – noch mehr schätzen lassen. Lehrer sind in der Zeit zu Freunden geworden, Herkunftsländer sind in den Hintergrund gerückt und das menschliche Schicksal politischer  Entscheidungen wird mir durch Unterhaltungen mit betroffenen Personen täglich klarer. 

Mich persönlich betreffend, kann ich mehr als zufrieden konstatieren, dass ich meine Ziele erreicht habe und mir selbst dabei stets immer treu gewesen bin. Toleranz ja, Kontroverse ja, sich zurechtbiegen... nein. Und hierbei denke ich, dass diese Einstellung, die dieselbe auch schon in Deutschland gewesen ist, der Schlüssel zu meinem persönlichen Erfolg im ersten Semester am United World College in Costa Rica gewesen ist. Dies möchte ich hierbei ganz besonders nicht ausschließlich auf den rein akademischen sondern auch und vor allem auf den persönlichen und zwischenmenschlichen Bereich beziehen. Ich denke, dass ich durch zahlreiche Konversationen mit Menschen aus der ganzen Welt ein weitaus detaillierteres Weltbild habe erlangen können; dass mir klar geworden ist, wie privilegiert wir überhaupt in Deutschland und der westlichen Welt sind und dass man weitaus glücklicher mit viel weniger sein kann. Aber auch ich bin in dieser Zeit alles andere als zu kurz gekommen. Costa Rica ist ein immens  beeindruckendes Land, von dem ich sowohl reiche als auch arme Facetten habe kennenlernen dürfen. Doch auch hier: Egal wohin man geht, es ist beeindruckend, wie offen und zugänglich ich die Ticos habe erleben dürfen. Neben einem kurzen aber traumhaften October-Break an der karibischen Seite Costa Rica mit traumhaften Stränden durfte ich dann im November auch noch weiter nach Kolumbien fliegen, um dem Südamerikafinale von Jugend debattiert als einer der Hauptjuroren beizuwohnen. Auch wenn diese Einladung hauptsächlich auf meinem Erfolg beim diesjährigen Bundeswettbewerb und der Teilnahme am Bundesfinale beruht... ohne UWC wäre dies nicht möglich gewesen. Es waren so viele Highlights, dass man sie kaum in Worten zusammenfassen kann. Es waren so viele Highlights, dass man hätte meinen können, es waren mehr als vier Monate. Dass ich mir zudem und dem schnelllebigen Alltag zum Trotz genügend Zeit für mich selbst, meine Familie und Freunde zu  Hause habe nehmen können, macht mich nur umso glücklicher und zugleich sehr zuversichtlich, dass diese zwei Jahre zu meiner Zufriedenheit verlaufen werden, sollte ich mir dem auch weiterhin treu bleiben.

Nichtsdestotrotz stecken hinter jeder Geschichte natürlich auch immer ganz besondere Gesichter, die etwas Einzigartiges zu etwas unvergesslichem machen. Zunächst einmal sind das meine Eltern hier in Deutschland, die für mich da sind, mich unterstützen und mich ihr volles Vertrauen spüren lassen. Ich denke, dass es ein Faktor ist, den man zu schätzen wissen muss. Und auf der anderen Seite sind es auch die Zimmerkollegen, die eine wundervolle Erfahrung noch einzigartiger oder aber auch schlechter machen können. Auch hier war das Glück wieder voll und ganz auf meiner Seite. Als ich erfahren habe, dass meine Roommates beide Second-Years sind und aus Sambia und Pakistan kommen, wusste ich nicht, was auf mich zukommen wird. Was wussten wir auch hier in Deutschland schon groß über diese Länder? Über deren Kultur? Ich denke, dass eine Reaktion einer meiner besten Freunde es ganz gut zusammenfasst: „Über Pakistan hört man doch nichts anderes als Konflikte“. Und genau das ist es, was die Erfahrung mit UWC für mich noch besonderer und greifbarer gemacht hat. Zu erfahren, welche anderen Seiten es gibt, als das, was bei uns in den Medien erscheint und Meinungen über ganze Nationen und Millionen von Menschen bildet. Das sind Erfahrungen, die auch bei einer der besten Schulen Deutschlands herunterfallen. Dennoch ist es meiner Meinung nach unser gutes Verhältnis, dass all dies ermöglicht und die Stimmung aufrecht erhält. Ich schätze die Offenheit, Ehrlichkeit und das Interesse für das gegenseitige Wohlbefinden und den Schutz einer gewissen Privatsphäre sehr – unser Verhältnis ist so vertraut geworden, dass es sich anfühlte, als lebten wir schon Jahre zusammen. Bei all dem Interesse für Auslandsaufenthalte, die ich auch im Vorfeld an meine Bewerbung bei UWC hatte, gibt es, glaube ich, keine vergleichbare Schule, Institution und Möglichkeit etwas so diverses in so kurzer Zeit an einem einzigen Ort auf diesem  Planeten zu erleben. Ich glaube nicht, dass ein Ort einem mehr mitgeben kann, als es im Moment am UWC Costa Rica für mich der Fall ist. Deshalb freue ich mich auch sehr, am 05.01.2020 in mein zweites Kapitel am United World College zu starten, obwohl ich die Zeit zuhause sehr genossen habe. Doch irgendwann ruft der Sommer auch wieder...

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